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Belästigung von Schwangeren vor Beratungsstellen („Gehsteigbelästigung“)

| Fallbeispiel #17

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Lisa und ihr Freund Marco haben einen Termin bei der pro familia Beratungsstelle in Frankfurt am Main. Lisa hat vor Kurzem einen positiven Schwangerschaftstest gemacht, was bei beiden große Unsicherheit und Angst ausgelöst hat. Lisa geht noch zur Schule und Marco hat gerade seine Ausbildung begonnen. In dem Beratungsgespräch möchten sie Unterstützung bei der Entscheidung, ob Lisa die Schwangerschaft fortsetzen oder abbrechen wird. Als sie zur Beratungsstelle kommen, treffen sie auf sechs Frauen und zwei Männer, die sich im Halbkreis aufgestellt haben. In den Händen halten sie Rosenkränze und murmeln Gebete. Vor dem Körper tragen die Betenden Plakate. Eines davon zeigt eine Schwangere, die ihre Hände über den gewölbten Babybauch hält. „Wir beten für Dich“, steht darüber.

Ein Fußweg mit Personen mehrheitlich von hinten, von denen eine Person einen roten Stoffbeutel trägt.
Foto von Mitchell Luo via pexels

Vor allem Lisa ist geschockt. Sie zieht die Kapuze über den Kopf und versteckt sich hinter ihrem Freund. Im Beratungszimmer fängt sie an zu weinen und sagt, dass sie sich dafür schämt, hier zu sein und am liebsten sofort wieder umgekehrt wäre. Marco ist empört und fragt die Beraterin nach der Versammlung. Die Beraterin erklärt, dass sich Abtreibungsgegner*innen seit 2017 regelmäßig wochenlang vor der Beratungsstelle versammeln. Auch in anderen Städten sind Schwangere und Mitarbeitende mit sogenannten „Mahnwachen“ konfrontiert. Zwar hatte die Stadt Frankfurt eine „Schutzzone“ eingerichtet, um die Abtreibungsgegner*innen davon abzuhalten, direkt vor der Beratungsstelle zu demonstrieren. Ende 2021 entschied jedoch das Verwaltungsgericht Frankfurt: Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen wollen und eine Beratungsstelle aufsuchen, müssten die Begegnung mit den Betenden aushalten.

Das gilt auch für alle anderen Menschen, die zum Beispiel finanzielle Hilfen für ihr Kind beantragen wollen oder eine sexualpädagogische Bildungsveranstaltung als Schulklasse besuchen. Und auch für Paare oder einzelne Personen, die zur Verhütungs- oder Sexualberatung kommen. Denn in Schwangerschaftsberatungsstellen wird häufig viel mehr angeboten, als nur die sogenannte Konfliktberatung.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht biete „keinen Konfrontationsschutz vor nicht gewünschten anderen Ansichten“. Frauen und alle Besucher*innen einer Beratungsstelle könnten ihren Blick von den Protesten abwenden, wird argumentiert. Ähnliche Mahnwachen wie in Frankfurt am Main gibt es auch in anderen deutschen Städten vor Beratungsstellen und Praxen, in denen Schwangerschaftsabbrüche stattfinden. Auch dort wird versucht, die Demonstrationen an andere Orte zu verweisen und auch dort gestaltet sich dies aufgrund des Konflikts mit dem Versammlungsrecht schwierig. Die Hoffnungen vieler Aktivist*innen und pro choice Organisationen richten sich deshalb auf die Berliner Ampel-Koalition seit 2021, die „Gehsteigbelästigungen“ vor Beratungsstellen und frauenärztlichen Praxen gesetzlich verbieten will.

In Großbritannien hat der Gesetzgeber gehandelt. Das britische Unterhaus verabschiedete im Oktober 2022 ein Gesetz, dass es radikalen Gegner*innen von Schwangerschaftsabbrüchen verbietet, in der Nähe von Kliniken zu protestieren. Mit großer Mehrheit stimmten die Abgeordneten dafür, in England und Wales Schutzzonen im Umkreis von 150 Metern um die Kliniken zu errichten. Für Schottland gibt es ähnliche Pläne. Auf diese Weise sollen Schwangere sowie Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, besser vor Belästigungen geschützt werden.  Bei Verstößen drohen den Gegner*innen Strafen.

Dieses Fallbeispiel berührt folgende Rechte

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